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Neue Möglichkeiten für Transparenz und Storytelling

Prof. Dr. Riccardo Wagner (Macromedia - Causalux Fotografie)

Aber: „Der CSR-Kommunikator als eigene Funktion ist nicht mehr sinnvoll“, so Prof. Riccardo Wagner im CSR MAGAZIN-Interview.

Berlin (CSR MAGAZIN) – In der digitalen Welt lasse sich nicht steuern, wer auf welchen Kanälen kritische Fragen stellt, sagt Wagner, der am Campus Stuttgart der Macromedia Hochschule digitale Markenführung & Kommunikation lehrt. Das Gespräch führte Achim Halfmann.

CSR MAGAZIN: Worin liegen die besonderen Herausforderungen der digitalen Kommunikation?

Prof. Dr. Riccardo Wagner: Die Diskussion über digitale Kommunikation pendelt zwischen zwei Polen: zwischen ‚alles ist neu‘ und ‚die Regeln werden neu geschrieben‘ auf der einen Seite und ‚es kommen neue Kanäle hinzu, aber vom Grundsätzlichen ändert sich wahnsinnig viel‘ auf der anderen Seite.

Ich selbst bin dazwischen angesiedelt: Die Welt wird auch durch digitale Kommunikation nicht grundsätzlich neu geschrieben. Digitalisierung wird Unternehmenskommunikation wieder relevanter machen. Besondere Bedeutung gewinnt dabei die Datenanalyse: Wo halten sich meine Zielgruppen auf? Was wollen sie, was schauen sie sich an? Digitale Kommunikation bietet viele Chancen, befreit aber nicht von der Frage nach dem „Warum?“, sprich: Welchen Purpose will ich kommunizieren?

Zudem werden aus meiner Sicht die Anforderungen an Kreativität deutlich höher, und daran, wie Beziehungen aufgebaut und gepflegt werden. Die Ansprüche an das Know How wachsen, und das halte ich für eine gute Nachricht. Der professionelle Kommunikator ist nicht mehr Herr der Kommunikation. Der gewisse Kontrollverlust macht die PR hoffentlich endlich zu dem, was uns lange prophezeit wurde: einem Gespräch. Wer hier das Handwerk beherrscht und klar strukturiert ist, der hat eine gute Ausgangsposition, der wird auf Ballhöhe bleiben und die verschiedenen Enden der Kommunikation gut zusammenbringen.

Gerade für Mittelständische Unternehmen ist das – angesichts knapper Ressourcen – eine riesige Herausforderung: Digitale Kommunikation braucht spezialisierte Kollegen – etwa für die Datenanalyse oder die automatisierte Kommunikation, für Anwendungen aus dem Bereich der Künstlichen Intelligenz und Chatbots. Für die Beschäftigung dieser Experten fehlt vielen Unternehmen die kritische Größe. Die Welt der Kommunikation wird komplexer und zugleich folgenreicher.

Wie verändert das Digitale die interne Organisation von Kommunikation?

Wir sprechen vom ‚Ende der Kommunikatoren‘. Marketing, Unternehmenskommunikation und Public Relations werden noch stärker miteinander verschmelzen. Den klassischen Sprecher mit eigener Welt und eigenen Kommunikationskanälen gibt es so nicht mehr. Die gesamten kommunikativen Disziplinen rücken unter einer Überschrift zusammen, das beobachte ich etwa in Stellenausschreibungen. So habe ich es auch in meiner eigenen beruflichen Praxis erlebt. Und auch das halt ich für eine gute Entwicklung, die modernisiert, was wir unter dem Begriff der integrierten Kommunikation schon länger diskutieren

In der digitalen Welt gilt der Aufbau von Vertrauen als besondere Herausforderung.

Das Vertrauensthema war immer zentrales Element, die Kommunikation allerdings meistens nur als Verlautbarer und nicht Gestalter: Ein Kommunikationsauftrag kam herein und die Kommunikatoren hatten eine wünschenswerte Welt zu bauen. Ich wünsche mir grundsätzlich eine stärker gestaltende Rolle von Kommunikatoren in der Unternehmensführung: Sie sind Auge, Ohr und Mund des Unternehmens, stehen tagtäglich in Interaktion mit der Gesellschaft und erleben deren Strömungen und Entwicklungen mit. Das eröffnet Gestaltungspotenziale auf strategischer und Sinnebene.

Wir müssen Vertrauenschancen nutzen: Zielgruppen einbinden und Inhalte individualisieren, sodass diese Bedürfnisse der Zielgruppen bedienen. Virtuelle Welten wie die Augmented Reality ermöglichen ein ganz neues Präsenzerleben sowie emotionale Erlebnisse und bieten große Chancen für die Nachhaltigkeitskommunikation: Denken Sie etwa an die Anleitung zu nachhaltigem Handeln, zum Beispiel an Müllvermeidung. Wissenschaftlich ist noch nicht fundiert untersucht worden, welche Effekte das auf Handlungsänderungen besitzt. Aber wir können Querschlüsse aus anderen Feldern ziehen und schlussfolgern, dass Präsenzerleben emotionale Aktivierung mit sich bringt.

Digitalisierung bietet Möglichkeiten, in der tiefe Transparenz und Vergleichbarkeit zu schaffen, etwa durch die digitale Auswertung von Datenreihen und Messergebnissen – bis hin zur Real-Time-Berichterstattung. Wenn alle Produktionsprozesse digitalisiert sind, ist ein tagesaktueller Bericht etwa zu den Emissionen möglich. Das wirkt vertrauensbildend, auch wenn die Daten natürlich nur von sehr Wenigen rezipiert werden dürften.

Für das Storytelling bieten digitale Kanäle viele neue Präsentationsmöglichkeiten – etwa über Videos, Gamification und die Einbeziehung von Influencern. Da können Kommunikatoren eine Menge Kreativität an den Start bringen und Glaubwürdigkeitsvorsprünge herausholen. Ein Beispiel bietet die Video-Plattform TikTok: Über neue Videoformate, die durchaus auch Bildungscharakter haben können, lassen sich neue Zielgruppen ansprechen. Allerdings müssen Unternehmen vorher genau definieren, welche Zielgruppen sie erreichen wollen.

Werden digitale Tools zu einer stärkeren Einbindung der Nutzer führen?

Wir sprechen über Crowd- oder Open-Innovation-Ansätze schon sehr lange, bisher nur mit mittelmäßigem Erfolg: Unternehmen stellen auf eigenen oder fremden Plattformen ihr Ideenmanagement auf neue Beine. Nutzer können durch interaktive Ansätze stärker in den Dialog eingebunden werden – etwa über Gamifikation.

Allerdings ist nicht alles, was wir mit dem Aufkommen der Social Media erhofft haben, Realität geworden. Denken Sie etwa an die Nutzung von Kommentarfunktionen, wo wir es häufig mit kritischen und krisenhaften Kommentaren zu tun haben; konstruktive Feedbacks bleiben die Ausnahme. Grundsätzlich sehen wir mehr Sharing als echten Dialog. Dass Unternehmen via Social Media eine Möglichkeit anbieten, mit ihnen in Beziehung zu treten, bleibt trotzdem ein starkes Signal. Man darf die Offenheit, Belastbarkeit und das Interesse der Stakeholder dennoch nicht überschätzen. Wir werden auch im digitalen Umfeld mehrheitlich im Push-Modus bleiben.

Welche Eckpunkte für einen verantwortlichen Umgang mit Nutzerdaten sehen Sie?

Ich bin da relativ kritisch: Beispielsweise beim datengetriebenen Marketing arbeiten wir immer sehr hart an der Grenze zur Manipulation. Unternehmen sollten zunächst einen vernünftigen Blick darauf entwickeln, was datengetriebene Kommunikation leisten kann – und was nicht. Es ist eine Gefahr zu denken, dass man alleine mit der Nutzung von Data Mining und Data Science der ‚goldenen Weg der Kommunikation‘ findet. Manche großen Unternehmen haben darüber die klassische beziehungsorientierte Markenführung vernachlässigt und sind inzwischen deutlich zurückgerudert.

Ohne einen kritischen Blick auf das datengetriebene Marketing stehen Unternehmen in der Gefahr, alles über den Kunden erheben zu wollen. Nutzer klicken schnell auf einen Button, mit dem sie Datenschutzbestimmungen bestätigen. Und manche Unternehmen handeln nach dem Motto: Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.

Stattdessen sollten wir eine gesunde Zusammenarbeit mit dem Kunden entwickeln und uns fragen, ob das Ziel stimmt: Was hilft dem Kunden tatsächlich? Das ist sicher nicht die Anzeige von Produkten, die er schon längst gekauft hat. Kommunikation kann relevanter werden, wenn sie mithilfe von Daten aufbereitet wurde – und genau das muss unser Ziel sein. Kunden möchten Hilfe erhalten, aber sie möchten nicht manipuliert werden.

Wir sollten Kunden so transparent wie möglich Einblicke in die über ihn gespeicherten Daten gewähren. Und jeder sollte auch tatsächlich die Chance haben, diese Datenspeicherung mitzubestimmen. Das ist sicher nicht auf jedem Kanal machbar, aber wir sollten diese Mitbestimmung überall dort offensiv anbieten, wo es möglich ist.

In zahlreichen Fällen lassen sich strategische Fehlentscheidungen und falsche Erwartungen als Grundübel ausmachen, wenn nämlich Unternehmen glauben: Außer Datenerfassung brauchen wir nichts weiter zu tun.

Und wohin steuert die Nachhaltigkeitskommunikation?

Der CSR-Kommunikator als eigene Funktion ist nicht mehr sinnvoll. Im CSR-Management sehen wir: Der Nachhaltigkeitsgedanke muss in jeder Funktion mitgetragen werden. Und so ist es auch in der Kommunikation. Wir können nicht steuern, wer auf welchen Kanälen kritische Fragen stellt. CSR-Kommunikation muss zum Bestandteil jeder Kommunikation werden, Sinn und Verantwortung sind in jeder Kampagne gefragt. Ein Grundverständnis von CSR muss daher zur Grundausbildung von Kommunikatoren gehören. Zwar brauchen wir auch Spezialisten, die sich mit den Standards auskennen, aber das Thema CSR ist in der Breite der Kommunikation angekommen. Im Grunde stellt es eine Erweiterung der klassischen Marketingpyramide dar und beantwortet die Fragen: Wir sind wir? Wofür stehen wir? Welche Werte repräsentieren wir? Man könnte sagen: Die Pyramide wird breiter.

Digitale Kommunikation kann hin zu nachhaltigkeits-orientierten Volksbewegungen ganz tolle Brücken bauen. Nachhaltigkeit als Erzählthema bietet das Potenzial, um Unternehmen als Partner zu inszenieren, als Teil der Gesellschaft. Da haben wir Entwicklungsbedarf: Unternehmen vorwiegend durch die Berichterstattungsbrille und weisen etwa ihre Emissionen nach. Menschen wollen wissen, was Unternehmen antreibt und warum sie so handeln, wie sie handeln. Welches Wirtschaftsverständnis treibt Unternehmen an? Sind sie Gegner oder Förderer des Gemeinwohls? Deshalb geht es stark um die Darstellung der Unternehmensstrategie und um Blicke in das Unternehmen hinein. Unternehmen könnten ihre Mitarbeiter oder den CEO zu Wort kommen lassen. Es geht um die Kommunikation über Personen, um ein gutes Storytelling und um Beziehungsarbeit. Wir müssen eine zuerst technisch orientierte Nachhaltigkeitswelt verlassen und Kommunikation als Gespräch mit der Gesellschaft verstehen. Zugegeben, für kleine und mittlere Unternehmen ist das schwierig zu leisten.

Über viele Jahre haben wir das Thema Nachhaltigkeit erfolglos durch die Gegend getragen. Über viele Jahre haben Unternehmen kein echtes Commitment in Sachen Nachhaltigkeit gezeigt. Jetzt ist ein spannender Punkt erreicht, Erwartungshaltungen haben sich grundlegend verändert – auch wenn das noch nicht umfassend im Verhalten angekommen ist. Für Unternehmen aber geht es um ihre Zukunftsfähigkeit.

Vielen Dank für das Gespräch! [/UAS_loggedin]


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