Von Rechtsanwalt Holger Hembach
Das Alien Torts Statute
Ein Brennpunkt der Debatte ist dabei das Alien Torts Statute (mit dem sich die gedruckte Ausgabe der CSR-News schon befasst hat). Dabei handelt es sich um eine Vorschrift in einem amerikanischen Gesetz aus dem Jahre 1789. Sie besagt, dass Distriktgerichte (in den USA) zuständig sind „für jede Klage eines Ausländers bezüglich einer unerlaubten Handlung, die begangen wurde unter Verletzung des Völkerrechts oder eines Vertrages der Vereinigten Staaten“. Rund 170 Jahre lang hat die Vorschrift ein Schattendasein geführt. Das änderte sich in den später 70er Jahren mit dem Fall Filartiga gegen Pena-Irala). Die Angehörigen eines Oppositionellen, der in Paraguay zu Tode gefoltert worden war, besuchten New York. Dort glaubten Sie, in einem Mann den Folterer zu erkennen und reichten Klage gegen ihn ein. Es stellte sich jedoch die Frage, ob ein amerikanisches Gericht für den Fall zuständig sein konnte. Denn die Tat hatte in Paraguay stattgefunden und weder das Opfer noch der angebliche Täter waren amerikanische Staatsbürger. Die Kläger stützten sich auf das Alien Tort Statute – und die amerikanischen Gerichte gaben ihnen Recht und befassten sich mit der Klage (letztlich erhielten die Kläger eine Entschädigung von über 10 Millionen Dollar).
Dieser und ähnliche Fälle brachten das Alien Tort Statute wieder ins Bewusstsein. Rechtsanwälte versuchten vermehrt, Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen in den USA anhängig zu machen, darunter auch Klagen gegen Unternehmen. Es kam zu unterschiedlichen Entscheidungen durch verschiedene Gerichte und der Supreme Court musste sich in mehreren Entscheidungen mit der Auslegung des Alien Tort Statute befassen.
Keine eigenen Pflichten von Unternehmen nach dem Alien Torts Statute
Eine wichtige Frage war dabei die, ob das Alien Tort Statute die Verantwortung von Beklagten begründen kann oder ob er lediglich die Zuständigkeit der Gerichte regelt. Der Supreme Court entschied hier, dass das ATS keine Pflichten begründet. Man kann also keine Klage gegen ein Unternehmen mit der Begründung einreichen, dass dieses Unternehmen gegen das ATS verstoßen habe. Das ATS sagt allenfalls, dass amerikanische Gerichte dafür zuständig sind, darüber zu entscheiden, ob ein Unternehmen gegen seine menschenrechtlichen Pflichten verstoßen hat. Die Verletzung dieser Pflichten muss sich aber aus anderen Vorschriften ergeben.
Globale Zuständigkeit amerikanischer Gerichte?
Selbst wenn das der Fall ist, stellte sich allerdings die Frage, ob amerikanische Gerichte nach dem ATS wirklich für Menschenrechtsverletzungen weltweit zuständig sein können. Kann beispielsweise ein Bewohner eines afrikanischen Landes ein britisches Unternehmen in den USA wegen Menschenrechtsverletzungen verklagen? Mit dieser Frage setzt sich der Supreme Court im Fall Kiobel gegen Royal Dutch Shell auseinander. Der Fall betraf Einwohner von Nigeria, Angehörige der Volksgruppe der Ogoni, die im Ogoniland im Nigerdelta lebten. Dort förderte das niederländisch-britische Unternehmen Royal Dutch Shell Öl. Das Unternehmen hatte dazu eine Tochtergesellschaft in Nigeria gegründet. Die Ölförderung hatte schlimme Auswirkungen auf die Umwelt im Nigerdelta. Einwohner begannen zu protestieren, aber die nigerianische Regierung ging brutal gegen sie vor. Während der 1990er Jahre griffen Angehörige der nigerianischen Polizei und des Militärs regelmäßig Dörfer der Ogoni an. Es kam zu Plünderungen, Vergewaltigungen und außergerichtlichen Tötungen. Die Kläger flohen vor der Gewalt in die USA, wo sie politisches Asyl erhielten. Dort erhoben sie Klage gegen Unternehmen der Royal Dutch Shell-Gruppe. Sie waren der Auffassung, dass Royal Dutch Shell in die Gewalttaten der Regierungskräfte verwickelt gewesen sei. Das Unternehmen habe beispielsweise Transportmittel zur Verfügung gestellt und logistische Unterstützung geleistet. Damit habe Shell international anerkannte Menschenrechte verletzt.
Das zuständige Gericht wies die Klage ab. Es war der Auffassung, dass Unternehmen generell nicht für die Verletzung von Menschenrechten juristisch zur Verantwortung gezogen werden könnten. Dafür fehle es nach geltendem Recht an einer Grundlage. Diese Frage wurde dem Supreme Court vorgelegt, nachdem die Kläger Rechtsmittel gegen die Abweisung der Klage eingelegt hatten. Im Laufe des Verfahrens vor dem Supreme Court kristallisierte sich aber noch die oben angesprochene Frage heraus: Können amerikanische Gerichte für die Beurteilung von Vorfällen zuständig sein, die sich sämtlich außerhalb der USA zugetragen haben und keinen Bezug zu den Vereinigten Staaten haben?
Der Supreme Court konzentrierte sich auf diese Frage – und verneinte sie. Dabei verwies er auf den historischen Hintergrund und die Entstehungsgeschichte des Alien Tort Statute. Man könne nicht annehmen, dass die USA sich bei der Entstehung des Gesetzes im Jahre 1789, als sie selbst noch um Anerkennung als unabhängiger Staat rangen, zum internationalen Wächter über die Menschenrechte hätten erklären wollen. Das Gesetz sei erlassen worden, um sicherzustellen, dass bestimmte Rechtsverletzungen in den USA geahndet werden könnten, um diplomatische Verwicklungen zu vermeiden. Der Anlass waren Fälle gewesen, in denen Verletzungen internationalen Rechts aufgetreten waren, die man aber nach der damaligen Rechtslage nicht verfolgen konnten. In New York war beispielsweise im Jahre 1787 ein Polizist in das Haus des niederländischen Botschafters eingedrungen und hatte einen von dessen Dienern festgenommen. Das verstieß gegen internationales Recht, das die Residenz von Botschaftern schützt. Die Niederlande protestierten. Das Alien Tort Statue wollte sicherstellen, dass es eine Möglichkeit gab, solche Verstöße zu ahnden um diplomatische Schwierigkeiten zu vermeiden. Der Supreme Court wies darauf hin, dass es – entgegen dieser Intention – gerade zu Konflikten mit anderen Ländern führen würde, wenn US-Gerichte über Taten urteilten die außerhalb der USA von ausländischen Staatsbürgern gegenüber ausländischen Staatsbürgern begangen worden seien. Amerikanische Gerichte könnten daher nur zuständig sein, wenn der Fall einen hinreichenden Bezug zu den USA aufweise. Mit dieser Begründung bestätigte er die Entscheidung der Vorinstanz. Damit ließ das Gericht aber die Frage offen, ob Unternehmen grundsätzlich für die Verletzung von Menschenrechten zur Verantwortung gezogen werden können.
Verantwortung von Unternehmen nach internationalem Recht?
Mit dieser Frage hat sich der Supreme Court dann vor Kurzem im Fall „Jesner gegen Arab Bank“ auseinandergesetzt. Die beklagte Partei war eine jordanische Bank, die auch über eine Filiale in New York verfügte. Die rund 6.000 Kläger waren Angehörige von Menschen, die im Verlauf von 10 Jahren durch terroristische Akte im Mittleren Osten ums Leben gekommen waren. Sie behaupteten, dass die Arab Bank bzw. ihre Mitarbeiter zum Terrorismus beigetragen hätten – beispielsweise indem sie Konten eingerichtet hätten, die benutzt worden wären, um den Familien von Selbstmordattentätern Geld zukommen zu lassen. Dies sei vorwiegend über Filialen der Bank im Mittleren Osten geschehen; darüber hinaus sei aber auch die New Yorker-Filiale der genutzt worden, um Transaktionen in US-Dollar vorzunehmen. Der Supreme Court führte aus, eine juristische Verantwortung oder Haftung von Unternehmen nach internationalem Recht komme nur unter zwei Voraussetzungen in Betracht:
- Es müsse eine spezifische, allgemeingültige und verpflichtende Norm geben, die das Unternehmen verletzt habe
- Es müsse angemessen sein, dass Gerichte den Fall entschieden und er nicht dem Gesetzgeber überlassen werde
Der Supreme Court beschäftigte sich zunächst mit der ersten Frage: Sind die internationalen Menschenrechte spezifische, allgemeingültige und verpflichtende Normen, die für Unternehmen gelten. Das Gericht äußerte erhebliche Zweifel. Es sei fraglich, ob nach internationalem Recht eine juristische Verantwortung von Unternehmen in Betracht komme. Nach klassischem Verständnis verpflichten die Menschenrechte nämlich nur Staaten und gelten im Verhältnis vom Staat zum Bürger.
Der Supreme Court verwies darauf, dass internationale Tribunale wie das Tribunal für das ehemalige Jugoslawien oder das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal ausdrücklich keine Haftung von Unternehmen vorgesehen hätten. Es gebe keinen allgemein anerkannten Grundsatz, dass Unternehmen juristische verbindliche Pflichten nach internationalem Recht träfen. Eine Hintertür ließ sich der Supreme Court aber offen. Er war der Ansicht, er müsse die Frage nach der Verantwortung für die Verletzung internationaler Menschenrechte nicht eindeutig beantworten. Denn jedenfalls sei es der Gesetzgeber, der entscheiden müsse, ob juristische Personen auf dieser Grundlage verklagt werden könnten. Jedenfalls die zweite der genannten Fragen sei also zu verneinen. Die Entscheidung des Gerichts, das die Klage abgewiesen hatte, sei also jedenfalls aus diesem Grunde richtig. Einige Beobachter glauben, dass diese Hintertür einen Kompromiss zwischen verschiedenen Kräften im Supreme Court widerspiegele. Die konservativen Richter hätten dazu geneigt, eine juristische Verantwortung von Unternehmen für die Verletzung von Menschenrechten rundweg abzulehnen. Die liberalen Richter seien bemüht gewesen, eine Formulierung zu finden, die diese Frage zumindest nicht grundlegend verneint. Doch in Anbetracht der Formulierungen im Urteil ist wohl nicht davon auszugehen, dass das Gericht in absehbarer Zeit die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen postulieren wird.

Holger Hembach ist Rechtsanwalt in Bergisch Gladbach Er berät zu Grund- und Menschenrechtsfragen. https://rechtsanwalt-hembach.de/