Bonn (csr-news) > Wenn nicht gerade katastrophale Klimadaten veröffentlicht werden oder aktuelle Umweltkatastrophen auf den Klimawandel hindeuten, dann findet Nachhaltigkeit in den Medien wenig statt. Dies ist zumindest das Ergebnis einer Medienanalyse, die die Stiftung Denkwerk Zukunft für einige meinungsbildende Printmedien durchgeführt hat. Darin wurde die traditionelle Wirtschaftsberichterstattung mit der Berichterstattung über Nachhaltigkeit verglichen.
Natürliche Ressourcen, die Umwelt und nicht zuletzt auch die Menschen sind Grundlage des wirtschaftlichen Handelns. Doch diesen Zusammenhang scheint die Wirtschaftsberichterstattung fast vollständig auszublenden. Um zu überprüfen, welche qualitative und quantitative Bedeutung das Thema Nachhaltigkeit für den Wirtschaftsjournalismus hat, hat die Stiftung Denkwerk Zukunft fünf Printmedien drei Monate lang analysiert. Gegenstand der nicht repräsentativen Untersuchung waren die vier Tageszeitungen BILD, Süddeutsche Zeitung (SZ), Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und Bonner General-Anzeiger (GA) sowie das Wochenmagazin “Der Spiegel”. Das Ergebnis: Mit Ausnahme der Bild-Zeitung, die allerdings kaum Wirtschaftsthemen behandelt, waren vor allem die Tageszeitungen betont wirtschaftslastig. Dabei wurde das Thema Nachhaltigkeit wirtschaftsnah definiert. Dazu gehörten vor allem Artikel, die sich mit den Auswirkungen wirtschaftlicher Aktivitäten auf Gesellschaft und Umwelt, ressourcenschonenderen Formen des Wirtschaftens, den Folgen des Klimawandels oder allgemein Änderungen zu einem nachhaltigeren Verhalten beschäftigen. Beiträge, die eher die naturwissenschaftliche Dimension des Themas behandelten wurden nicht berücksichtigt. Allerdings wurden alle Artikel die sich mit der Energiewende beschäftigten dem Thema Nachhaltigkeit zugeordnet. Auf der anderen Seite stand die traditionelle Wirtschafts- und Finanzberichterstattung, die wirtschaftliche Aktivitäten per se positiv bewertet. Dazu wurden auch Beiträge gezählt, die sich in keiner Weise mit den ökologischen und gesellschaftlichen Folgen bestehender Produktions- und Konsumgewohnheiten beschäftigen oder diese hinterfragen. So sind beide Kategorien nicht vollständig vergleichbar, weil Wirtschaftsberichterstattung primär im Wirtschaftsteil einer Zeitung behandelt wird, Nachhaltigkeit als Querschnittsthema dagegen in allen Ressorts zu finden ist.
Wirtschaftsthemen werden aber nicht nur breit aufbereitet, so ein weiteres Fazit, sondern in der Regel auch positiv konnotiert. Die Ambivalenz wirtschaftlicher Aktivitäten wird nur selten deutlich. Zumeist gilt Wirtschaftswachstum unhinterfragt als gut, auch wenn es zu einer Erhöhung der Schadstoffbelastung, einer zusätzlichen Versiegelung der Böden oder zu einer Überforderung der Menschen beiträgt. Wenn überhaupt wird von solchen Folgen sehr viel knapper und oft ohne unmittelbare Bezugnahme zu ihren Ursachen berichtet. Häufig bekommt der Leser innerhalb einer Printausgabe widersprüchliche Signale. Dies macht es ihm fast unmöglich, Zusammenhänge beispielsweise zwischen Art und Umfang von Wirtschaftsaktivitäten und deren Folgen für Natur, Umwelt, Mensch und Gesellschaft herzustellen. Da wird über die Billigproduktion in Drittweltländern für bestimmte deutsche Kaufhäuser geklagt und nur zwei Printausgaben später die Neueröffnung just eines dieser Kaufhäuser gefeiert. Da wird auf die klimaschädlichen Folgen der gegenwärtigen Konsumweisen hingewiesen und drei Seiten weiter unkommentiert über die konsum- und wachstumstreibenden Wirkungen des Osterfestes berichtet. Da wird dem Thema Konsumverzicht eine Titelgeschichte gewidmet und in derselben Ausgabe seitenweise für Autos, Uhren und Männermode geworben.
Quelle: Denkwerk Zukunft Medienanalyse “Ökonomie schlägt Nachhaltigkeit”
Allerdings bestanden zwischen den Tageszeitungen erhebliche Unterschiede. So dominierte bei der FAZ die Wirtschaftsberichterstattung mit durchschnittlichen elf Seiten, während das Thema Nachhaltigkeit auf nur einer halben Seite behandelt wurde. „Die ausgewogenste Berichterstattung über beide Themenbereiche wies die Bild-Zeitung auf, in der sich Nachhaltigkeits- und Wirtschaftsthemen mit durchschnittlich 0,5 bzw. 0,4 Prozent der Ausgabe die Waage hielten“. Allerdings ist die Bild-Zeitung mit anderen Tageszeitungen nur bedingt vergleichbar, wie die Autoren einräumen. Rein rechnerisch betrug das Verhältnis von traditioneller Wirtschaftsberichterstattung zu Nachhaltigkeitsberichten bezogen auf die Gesamtausgabe in der FAZ knapp 19:1, in der SZ 9:1, im General-Anzeiger 5:1, im Spiegel 2:1 und in der Bild-Zeitung 1:1. Dabei dürfte das relativ gute Abschneiden des Themas Nachhaltigkeit im Wochenmagazin “Der Spiegel” auch darauf zurückzuführen sein, dass hier lediglich 14 Ausgaben ausgewertet wurden, von denen acht ausführliche Berichte zu Nachhaltigkeitsthemen enthielten, während für den gleichen Zeitraum 72 Ausgaben der Tageszeitungen berücksichtigt wurden.
Am häufigsten während des Untersuchungszeitraums wurde im April über Nachhaltigkeit berichtet. Das lag an der hohen Zahl entsprechender Ereignisse in diesem Monat, folglich nahm die Berichterstattung im Mai auch wieder ab. Eine Ausnahme bildete der Spiegel, der im Mai den Thesen des französischen Wirtschaftswissenschaftlers Thomas Piketty eine ausführliche Titelgeschichte widmete. Häufigkeit und Umfang der Berichterstattung über Nachhaltigkeit ist stark von speziellen Ereignissen abhängig. Dies gilt zwar ebenfalls für die Wirtschafts- und Finanzberichterstattung, allerdings hat diese in den Zeitungen ihre eigenes Ressort und somit ihren festen Platz. Interessant ist, dass über Nachhaltigkeit hauptsächlich in den anderen Ressorts berichtet wird und nicht im Wirtschaftsteil, allerdings variiert dies bei den einzelnen Publikationen. Im Bonner General-Anzeiger fanden sich beispielsweise über vier Fünftel der Nachhaltigkeitsberichterstattung außerhalb des Wirtschaftsteils, in der FAZ war es dagegen nur etwa die Hälfte. Ein Grund hierfür dürfte nicht zuletzt der unterschiedliche Umfang der Wirtschaftsteile dieser Zeitungen sein, lautet eine mögliche Erklärung. „Während der Wirtschaftsteil der FAZ im Durchschnitt 30 Prozent einer Ausgabe umfasste, waren es im Bonner General-Anzeiger lediglich 7,5 Prozent“.
Quelle: Denkwerk Zukunft Medienanalyse “Ökonomie schlägt Nachhaltigkeit”
Das quantitative Ungleichgewicht und die inhaltlichen Widersprüche zwischen Wirtschafts- und Nachhaltigkeitsberichterstattung führen zu einer verzerrten Wahrnehmung der Wirklichkeit, die wiederum folgenschwere Fehleinschätzungen verursacht, lautet das Fazit der Autoren Prof. Meinhard Miegel und Stefanie Wahl. „Wenn es heute leicht ist, national wie international zum Teil äußerst riskante Strategien zur Mehrung von Wirtschaftswachstum zu verfolgen, aber schwierig, Maßnahmen für die Erhaltung von Lebensgrundlagen durchzusetzen, dann ist dies ein Zustand, der dringend überwunden werden muss. Medien können hierzu entscheidend beitragen“, so Miegel im Vorwort. Nach seiner Auffassung müssten die Medien ihre Verantwortung als Meinungsbildner im Bereich Nachhaltigkeit wahrnehmen. Außerdem sollten Zeitungen eine eigene Rubrik Nachhaltigkeit einführen, um dem Thema mehr Geltung zu verschaffen.“Um die Ambivalenz wirtschaftlicher Aktivitäten bewusst zu machen, sollten die Medien Nachhaltigkeitsaspekte in die allgemeine Wirtschaftsberichterstattung integrieren. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass Journalisten über Fachkenntnisse im Bereich Nachhaltigkeit und eine gewisse Sensibilität für Nachhaltigkeitsthemen verfügen“, so der Rat der Autoren. Gefordert sind allerdings auch alle Organisationen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Sie sollten die Medien verstärkt auf Berichtenswertes im Bereich Nachhaltigkeit hinweisen.
Die komplette Medienanalyse „Ökonomie schlägt Nachhaltigkeit“ zum Download.