Als Medien in den 1990er Jahren über katastrophale Arbeitsbedingungen in Nikes Zulieferbetrieben in Indonesien berichteten, musste das Unternehmen massive Absatzeinbrüche hinnehmen. Es wurde klar, dass das gesellschaftliche Verhalten eines Unternehmens den unternehmerischen Erfolg oder Misserfolg mitbestimmt. Seitdem hat die Corporate Social Responsibility(CSR)-Diskussion einen enormen Aufschwung genommen. Unternehmen publizieren Nachhaltigkeitsberichte und Corporate Responsibility Reports. Renommierte Strategieberatungen fordern, dass CSR Teil des Strategieprozesses werden muss. Kommunikationsberatungen stellen fest, dass zahlreiche Unternehmen CSR-Maßnahmen durchführen, die keinen unternehmerischen Bezug haben. Doch sind diese Feststellungen richtig? Ist das Thema CSR wirklich neu? Und ist die Kritik berechtigt, dass sich Unternehmen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung erst jetzt bewusst werden und nicht wissen, wie sie diese sinnvoll in ihre Unternehmensstrategie einbinden sollen?
Ein Beitrag von Stefan Rennicke
Einer der grundlegenden Artikel zur Corporate Social Responsibility erschien 2006 im Harvard Business Review. Michael E. Porter, Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Harvard Business School und Leiter des Institute for Strategy and Competitiveness, und Mark R. Kramer, Gründer und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens FSG Social Impact Advisors, veröffentlichten den Beitrag „Strategy and Society“. Sie machten deutlich, dass jedes unternehmerische Handeln eine gesellschaftliche Verantwortung hat, und dass Gesellschaft und Unternehmen nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Porter und Kramer forderten, dass CSR-Maßnahmen kein Zusatz sondern Teil des unternehmerischen Handelns sein sollen. Alle CSR-Maßnahmen müssten dahingehend geprüft werden, ob sie zur Stärkung des Kerngeschäfts beitragen. Erst dann wird CSR vom Kostenfaktor oder gesellschaftlichem Zwang zum Innovationstreiber und Wettbewerbsvorteil.
Auswahl des gesellschaftlichen Engagements nach der Unternehmensstrategie
Innerhalb der letzten Jahre haben Unternehmen ihre Arbeit in dieser Richtung professionalisiert. Zwei Beispiele sollen dies exemplarisch zeigen. 2005 begann die BASF in Ludwigshafen, dem weltweit größten Produktionsstandort des Unternehmens, gemeinsam mit der Stadt Ludwigshafen und den kirchlichen Trägerorganisationen eine großangelegte Initiative zur Verbesserung der frühkindlichen Bildung in Kindertagesstätten. Im Rahmen der „Offensive Bildung“ wurden sieben verschiedene Programme entwickelt, deren Ziel die Integration von Naturpädagogik, Naturwissenschaften, Sprachentwicklung, interkulturellen Begegnungen, Kreativität, Qualitätsstandards für die pädagogische Arbeit und kontinuierliche Fortbildung der Fachkräfte in die tägliche KiTa-Arbeit ist. Die Programme wurden in die tägliche Arbeit von rund 90 Kindertagesstätten implementiert und ihre Umsetzung von Bildungsexperten begleitet. 2008 wurde „Offensive Bildung“ in die Metropolregion Rhein-Neckar ausgeweitet, wodurch die Initiative über 15.000 Kinder und rund 1.200 pädagogische Fachkräfte erreichte. BASF hat damit nicht nur die frühkindliche Bildung in Ludwigshafener Kindertagesstätten wesentlich verbessert, sondern auch den Grundstein dafür gelegt, zukünftig und langfristig besser ausgebildete Mitarbeiter in der Region rekrutieren zu können. Ein Verständnis für Naturwissenschaften, eine gute Sprachentwicklung und die Fähigkeit zur interkulturellen Begegnung sind dafür Schlüsselqualifikationen.
Ein weiteres Beispiel ist die Hütten- und Walzwerk AG, die unter einem eklatanten Mangel an qualifiziertem Personal und einer hohen Mitarbeiterfluktuation litt. Insbesondere Meister und Facharbeiter mussten eingestellt und an das Unternehmen gebunden werden, um die Produktion mittelfristig zu sichern. Potentielle Anwärter für die Positionen konnten nicht in der näheren Umgebung rekrutiert werden. Erste Kandidaten für die dringend zu besetzenden Meisterposten kamen aus Nord- und Süddeutschland, einige aus England und Belgien. Bei einer Einstellung wäre ein Umzug notwendig gewesen, doch in der Region stand kein Wohnraum zur Verfügung, die Infrastruktur war schwach. Nach ersten Vorstellungsgesprächen sagten passende Kandidaten ab. Die Hütten- und Walzwerk AG begann daraufhin mit dem Bau von Mitarbeitersiedlungen. Später wurden weitere Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt. Das Unternehmen konnte mit dieser Maßnahme qualifizierte Mitarbeiter rekrutieren und an das Unternehmen binden. Die Produktion und der Standort wurden gesichert und gleichzeitig wurde erheblich zur infrastrukturellen Verbesserung der Region beigetragen.
Best Practice heute und vor 150 Jahren
Beide Beispiele scheinen „Best Practice“ für die Durchführung von CSR-Maßnahmen zur Stärkung des Kerngeschäfts zu sein. Gesellschaftliche Faktoren, die die Wettbewerbsfähigkeit mittel- oder langfristig einschränken und die Produktion gefährden konnten, wurden mit einer Outside-in Analyse identifiziert und Gegenmaßnahmen ergriffen. Und doch liegen zwischen beiden Beispielen mehr als 150 Jahre. Bei der Hütten- und Walzwerk AG handelt es sich um die „Alte Walz“, einem Puddel- und Walzwerk an der Emscher, das Mitte des 19. Jahrhunderts unter den dargelegten Problemen litt: Facharbeitermangel, hohe Mitarbeiterfluktuation, akutem Wohnraummangel und schlechter Infrastruktur. Das Unternehmen begann 1846 mit dem Bau der Siedlung Eisenheim. Es sollte Wohnraum für zuziehende Arbeiter geschaffen und somit die Wettbewerbssituation des Unternehmens gestärkt werden. Insbesondere die fachlich hochqualifizierten Mitarbeiter sollten langfristig an das Unternehmen gebunden werden und so waren die ersten sieben Häuser Meisterhäuser. Wer den Arbeitsvertrag bei der Alten Walz unterschrieb, bekam einen Mietvertrag.
Gesellschaftliches Engagement schon immer Teil der Strategie?
Der Vergleich legt die Vermutung nahe, dass die in den letzten Jahren so populär gewordene Corporate Social Responsibility nichts Neues ist, und dass auch die Einbindung von CSR-Maßnahmen schon früh strategisch erfolgte. Schaut man sich einige Unternehmen genauer an, so findet man beispielsweise bei Bayer die Position des Wohlfahrtsdirektors, die bereits 1903 eingerichtet wurde. Der Wohlfahrtsdirektor war für den Auf- und Ausbau zahlreicher „Wohlfahrtseinrichtungen“ verantwortlich, wie den Wohnungsbau, die Verbesserung der Infrastruktur durch die Einrichtung von Kindergärten, Haushaltsschulen oder Einkaufsmöglichkeiten. Heutzutage würde diese Position ohne Zweifel Director of Corporate Social Responsibility heißen.
Cynthia Montgomery, Professorin für Business Administration und Leiterin des Strategieteams an der Harvard Business School, hat in ihrem Artikel „Die Rückkehr der strategischen Führung“, die Veränderungen in Unternehmen mit dem Auswechseln von Planken an einem Schiff verglichen. Im Laufe der Zeit wird Planke für Planke ausgewechselt, bis sämtliche Planken ausgetauscht wurden. Mit dem Auswechseln welcher Planke aber hat sich die Identität des Schiffes geändert? Mit welcher der vielen Jahr für Jahr in Unternehmen getroffenen Entscheidungen hat sich die Strategie geändert. Wann wurde die Planke der gesellschaftlichen Verantwortung ausgetauscht und ihre Wichtigkeit für die strategische Ausrichtung vergessen?
Diese Frage kann an dieser Stelle nicht geklärt werden, eine tiefer gehende und umfassendere Untersuchung würde sich aber ohne Zweifel lohnen. Viel wichtiger scheinen die Anhaltspunkte zu sein, dass gesellschaftliche Verantwortung und ihre direkte Relation zum Kerngeschäft zumindest für deutsche Unternehmen, insbesondere die Traditionsunternehmen, schon vor vielen Jahren zum unternehmerischen Handeln gehörte. Aus diesem Grund wäre es zu empfehlen, dass sich Unternehmen in ihrer Kommunikation nicht nur auf die aktuellen CSR-Maßnahmen fokussieren, sondern insbesondere ihre lange Tradition auf diesem Gebiet hervorheben. Diese lange Tradition könnte vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung von Corporate Social Responsibility zu einem internationalen Wettbewerbsvorteil werden.
Dr. Stefan Rennicke leitet seit mehreren Jahren den Fachbereich Public Private Partnerships bei der Deutschen UNESCO-Kommission. In dieser Funktion hat es zahlreiche Kooperationsprojekte u. a. mit dm drogerie-markt und Danone Waters durchgeführt. Zudem ist er für die Zusammenarbeit mit afrikanischen UNESCO-Kommissionen zuständig und betreut die Stiftung „Art in Africa“. Er hat über Unternehmensgeschichte promoviert.