Düsseldorf > „Als wir erstmals gemeinsam in Indien unterwegs waren, sprang Frau Küppers noch aus jedem Bild, wenn sich ein Fotograf näherte“, berichtet Jochen Jütte-Overmeyer. Barbara Küppers ist Referentin beim Kinderhilfswerk terre des hommes, Jütte-Overmeyer Justitiar der C&A Mode KG. Seit zehn Jahren kooperieren terre des hommes und C&A in Projekten gegen die Ausbeutung von Kinderarbeitern. Die Zusammenarbeit begann, lange bevor CSR in aller Munde und die Kooperation einer NGO mit einem Wirtschaftsunternehmen hoffähig waren. Die zehn gemeinsamen Jahre haben Spuren hinterlassen: in der Textilhochburg Tirupur im südindischen Bundesstaat Karnataka, im Unternehmen C&A und bei terre des hommes. Die Partner berichteten darüber gestern bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf.
Die Anfänge der Zusammenarbeit lagen in einer Zeit, als es „klare Frontstellungen“ zwischen Unternehmen und NGOs gab, berichtet Jütte-Overmeyer. Öffentlichkeitswirksame Kampagnen zwangen Handelsunternehmen zum Nachdenken über die Fragen: Wo kommt unsere Ware her? Und unter welchen Bedingungen wurde sie produziert? terre des hommes meldete sich damals zu einem ersten Gespräch bei C&A an, um mehr über deren Engagement in der Zulieferkette zu erfahren. Wenig später saß man sich dann bei einem Streitgespräch beim Fernsehsender Phoenix gegenüber. Die spätere Entscheidung für das gemeinsame Engagement war für beide Seiten nicht selbstverständlich. Die Kooperation mit einem Unternehmen galt in manchen Kreisen der Zivilgesellschaft für eine NGO als anstößig, und auf Unternehmensseite fürchtete mancher die naiven und idealistischen Vertreter der Zivilgesellschaft. Dass sich Unternehmens- und NGO-Vertreter dann gegenseitig als Menschen mit einem Blick für das Machbare kennenlernten, schaffte eine Vertrauensgrundlage für die spätere Zusammenarbeit.
Gemeinsam stellte man sich dem Problem der Kinderarbeit in der schnell wachsenden Textilstadt Tirupur, einem Zentrum der indischen Baumwollindustrie. Nach amtlichen Zählungen leben dort heute über 400.000 Menschen, aber: Die Statistik der indischen Großstädte kommt dem rapiden Bevölkerungswachstum kaum hinterher. Und auch in Tirupur verdoppelte sich die Einwohnerzahl in den letzten 20 Jahren, weil Menschen in der exportorientierten Textilindustrie Arbeitsplätze fanden. Ein solches Wachstum stellt die Infrastruktur von Städten wie Tirupur vor große Herausforderungen. Manche Probleme – wie etwa die Versorgung der Menschen mit sauberem Trinkwasser – bleiben dabei ungelöst. Die Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren in der Textilindustrie ist in Indien verboten – auf dem Papier. Als Jütte-Overmeyer vor zehn Jahren Textilbetriebe in Tirupur besuchte, fand er Schilder wie „No Children Employed“ und hörte dazu die Erklärung der Unternehmen, das sei nur für die Auslandskunden, die wollten das so. Solche Missstände lassen sich nicht einfach lösen, weiß auch terre des hommes-Geschäftsführerin Danuta Sacher. Denn wenn westliche Unternehmen sich beim Auftreten von Kinderarbeit einfach nur zurückziehen, dann bringt das die Mitarbeiter dieser Unternehmen in Existenznot. Hier sieht Sacher auch die NGOs in einer ethischen Verantwortung. Es geht um Alternativen zu Kinderarbeit, und an denen hat terre des hommes nun zehn Jahre gemeinsam mit C&A gearbeitet.
C&A verpflichtet seine Zulieferer, keine Kinder zu beschäftigen und grundlegende Arbeitsreche einzuhalten. Eine entsprechende Erklärung müssen die Unternehmen zugleich für ihre Subunternehmer und Zulieferer abgeben. C&A engagiert sich darüber hinaus dafür, dass Kinder in Tirupur eine Chance auf Bildung erhalten. Das für diese Sozialarbeit erforderliche Know How bringen die Mitarbeiter von terre des hommes und deren indische Partnerorganisationen mit. Denn hier muss in den indischen Familien Überzeugungsarbeit geleistet werden. Dafür etwa, dass sich Investitionen in die Ausbildung von Mädchen lohnen. Die Partnerschaft begann mit dem Aufbau des „Berufsschulzentrums für ehemalige Kinderarbeiter“ in Tirupur. Es folgten Brückenschulen – Abendschulen für die arbeitende Bevölkerung – und Einschulungskampagnen im indischen Bellary, wo Kinder in Ziegeleien und bei der Jeansproduktion für den Nahen Osten arbeiten. Durch Fortbildungskurse für Lehrer stärkt terre des hommes das regionale Schulsystem. Im Jahr 2008 starteten Dorfentwicklungs- und Einschulungsprogramme in Indiens ärmstem Bundesstaat Bihar. Das Engagement in den Dörfern soll auch die Abwanderung in großstädtische Ballungsräume bremsen. In Tiruput hat sich die Situation der Kinder in den zurückliegenden zehn Jahren deutlich verbessert: Die Zahl der Kinderarbeiter sank von 40.000 auf etwa 5.000 Mädchen und Jungen. Und über 1.200 Jugendliche haben bis heute das Berufsschulzentrum absolviert und Anstellungen als Schneiderinnen oder Zuschneider, Elektriker oder Klempner gefunden.
Insgesamt 2,2 Millionen Euro hat C&A bisher in die Zusammenarbeit mit terre des hommes investiert. Die Mittel stammen aus Unternehmensspenden und aus Sammlungen bei Kunden und der Belegschaft. Den Kunden gegenüber kommuniziert C&A dieses Engagement sehr zurückhaltend: Zum einen will das Unternehmen nicht in den Verdacht geraten, sein Engagement sei eine Marketingmaßnahme. Zum anderen erlebt C&A noch selten, dass Kunden nach den Herstellungsbedingungen für ein konkretes Produkt fragen, so Unternehmenssprecher Thorsten Rolfes. Für C&A als Marke ist es dagegen wichtig, als verantwortungsvolles Unternehmen wahrgenommen zu werden. Angesichts der komplexen Situation in Indien kann kein Unternehmen zuverlässig alle Arbeitsrechtsverstöße in seiner Supply Chain ausschließen, betont Danuta Sacher. Das Beispiel von C&A zeige aber, was ein Unternehmen dagegen tun könne.
Zehn Jahren Zusammenarbeit zwischen terre des hommes und C&A haben nicht alle Herausforderungen gelöst. Aber: „Globalisierung ist gestaltbar, das zeigt unsere Kooperation“, resümiert Danuta Sacher. Die Stadtentwicklung in Tirupur, die Situation der Heimarbeiter und der Menschen auf den Baumwollfeldern sind Themen, denen sich die Kooperationspartner demnächst verstärkt zuwenden wollen, berichtet Barbara Küppers. C&A überlegt, wie das eigene Supply Chain-Engagement in Kooperation mit anderen Unternehmen weiter verbessert werden kann, so der Nachhaltigkeitsverantwortliche Philip Chamberlain. Und auch nach zehn Jahren Zusammenarbeit ist terre des hommes eine kritische NGO geblieben – und C&A ein Wirtschaftsunternehmen, das sich am Markt behaupten muss.
Foto: Jugendliche im Berufsschulzentrum Tirupur (Boethling / terre des hommes)