Nachrichten

Von der Wüste lernen

Was Führungskräfte von einem Forschungsreisenden lernen können – Bruno Baumann im Gespräch mit Alexandra Hildebrandt.

Was Führungskräfte von einem Forschungsreisenden lernen können –
Bruno Baumann im Gespräch mit Alexandra Hildebrandt.

Allein durch die Wüste – das bedeutet totale Selbstverantwortung und extreme Ungewissheit. Allein auf sich gestellt zu sein und die eigenen Grenzen zu erfahren, das ist eine Lektion, aus der sich für das Management lernen lässt. Denn Grenzen zu überwinden ist in einer globalisierten Welt der Schlüssel zum Erfolg.

Bruno Baumann, Jahrgang 1955, lebt als Schriftsteller und Filmemacher in München. 1989 durchquerte er weitgehend zu Fuß die Takla Makan, die größte zusammenhängende Sandwüste der Erde. Im Oktober 2003 bewältigte er als erster Mensch das sandige Herzstück der Wüste Gobi im Alleingang. Im Jahr darauf gelangen ihm die Erstbefahrung des Sutley-Canyons in Tibet mit Wildwasser-Schlauchbooten und die Entdeckung der versunkenen Kultur des Königreichs Shang Shung.

Herr Baumann, als Forschungsreisender, der entlegene Regionen der Erde aufsuchte, haben Sie gelernt, Grenzen zu überwinden. Was können Führungskräfte davon lernen?

Vor allem der Alleingang in der Wüste Gobi bedeutete für mich eine Grenzerfahrung, also eine Erfahrung, die mich weit aus der Komfortzone in die Zone der Herausforderung, ja sogar existentieller Bedrohung führte. Daraufhin kamen Topmanager auf mich zu, um von meinen Erfahrungen zu profitieren. So begann ich darüber nachzudenken, ob und inwieweit es zwischen meiner Erfahrungswelt und den Herausforderungen eines Managers in einer globalisierten Welt Transfers geben könnte. Dabei stellte ich fest, dass es weitgehend dieselben Qualitäten sind, die ein Manager benötigt, um unternehmerischen Erfolg zu haben, und die ich brauchte, um einen Grenzgang zu verwirklichen.

Welche Qualitäten sind das? Und inwieweit gleichen sich die Herausforderungen?

In der Wüste steht nirgendwo geschrieben, wo es langgeht oder wo man Wasser findet. Deshalb gilt es, den Code der Wüste zu lesen und schwache Signale zu erkennen. Zu den Topqualitäten eines Managers gehört es ebenso, schwache Marktsignale frühzeitig zu erkennen und sie richtig zu interpretieren. Danach kommt es auf die Schnelligkeit der Reaktion, die Kreativität des Vorgehens, die Kraft der Durchsetzung an – alles Qualitäten, die auch für mich als Wüstengänger von entscheidender Bedeutung sind, denn davon hängt letztlich Erfolg oder Misserfolg ab. In meinem Fall ist das eine Frage von Leben oder Tod. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe anderer Themen mit Parallelen zum Management. Motivation zum Beispiel, Vision, Leadership, Konflikt- und Risikomanagement, verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen und so weiter. Auch Unternehmen sind gezwungen, in dieser sich so rasant verändernden globalisierten Welt in der Herausforderungszone zu agieren, denn nur dort findet Innovation statt. Ein gemütliches Zuhause in der Komfortzone, in der man bequem Routinen folgt, gibt es nicht mehr. „Business as usual“ ist keine Erfolgsstrategie mehr. Mittelmäßige Unternehmen orientieren sich an Maßstäben anderer, gute Unternehmen setzen Maßstäbe. Grenzen überwinden ist ein Schlüssel zum Erfolg, denn wer glaubt, etwas sei nicht möglich, wird bald von denen überholt, die es einfach tun. Lernmöglichkeiten für Führungskräfte gibt es auch hinsichtlich der Teamentwicklung. In Outdoor-Seminaren, die aus der subjektiven Wahrnehmung der Teilnehmer in die Zone der Herausforderung führen und mit Kontrollverlust verbunden sind, vollziehen sich Teamentwicklungsprozesse viel schneller als in der normalen Berufssituation. Denn da gibt es keine hierarchischen Strukturen oder Scheinkompetenzen, hinter denen man sich verschanzen kann. Ultimatives Ziel eines solchen Prozesses ist es, in den Teams ein Level an Zusammenarbeit zu erreichen, das mehr ist als bloß Kooperation und sich mit dem Begriff Synergie umschreiben lässt.

Welche Eigenschaften muss ein Mensch haben, damit Sie ihm folgen?

Leadership ist kein Erbhof, den jemand innehat, sondern gründet auf Kompetenz. Und auch das ist keine feste Größe, sondern wechselt situativ. Ich kenne niemanden, der für jede Situation Kompetenz besitzt. Also folge ich nur jemandem in bestimmten Situationen – dann nämlich, wenn diese Person eine mir überlegene Kompetenz besitzt. Eine andere Eigenschaft, die ich bei jemandem hoch achte, ist Weisheit – theoretisch angeeignetes Wissen hingegen halte ich für ein sehr begrenztes Werkzeug.

Was ist das wichtigste Werkzeug für Sie als Grenzüberschreiter?

Zunächst möchte ich sagen, dass ich nur einmal eine Grenzüberschreitung verwirklicht habe, und zwar bei meinem Alleingang in der Wüste Gobi, denn nur dabei war ich als Mensch ausgesetzt und auf mich allein gestellt. Man kann ja rein geistig oder intellektuell Grenzen überschreiten, aber hier war es in der Gesamtheit und in der Gleichzeitigkeit. Ich war körperlich am Limit, ich war intellektuell gefordert, denn ich musste jeden Schritt vorausplanen wie ein Schachspieler, ich musste meine Ängste transformieren, also die Einsamkeit als Kraftquelle nutzen lernen. Ich war gezwungen, die totale Selbstverantwortung zu leben und alle Antworten auf Fragen und Probleme, mit denen ich konfrontiert war, bei mir selber zu suchen, denn es gab keine Möglichkeit, diese zu delegieren oder woanders Antworten zu finden. Diesem ultimativen Trip ging ein 15-jähriger Erfahrungsweg voraus, in dem ich mich langsam an diese Grenze herantastete. Ein erster Solo-Versuch 1996 scheiterte, und ich kam beinahe um. Im Rückblick aber war dieses Scheitern der wichtigste Erfahrungsschritt.

Was treibt Sie an? Eine lustvolle Kraftprobe?

Ursprünglich war es eine naive Neugier, die Komfortzone zu verlassen, vielleicht auch eine romantisch-verklärte Sehnsucht nach dem Unbekannten. Das war zunächst durchaus räumlich-geographisch motiviert, also der Drang, aus einer scheinbar begrenzten Welt, in der ich aufwuchs, auszubrechen. Doch später ging es mir mehr und mehr um intensive Seins-Erfahrungen, die mir nur jenseits unserer abgesicherten und objektivierten Daseinswelt möglich schienen. Natürlich war auch sportlicher Ehrgeiz dabei, denn zum Menschsein zählt auch der Körper. Deshalb ist eine Grenzerfahrung für mich nur vollkommen, wenn Körper, Geist und Seele involviert sind. Dazu muss ich bereit sein, mich auch physisch auszusetzen. Im stillen Kämmerlein bleiben die Erfahrungen auf die geistig-intellektuelle Ebene begrenzt.

Weshalb kennt, wie Sie schreiben, Ihr Unterwegssein kein Ziel, sondern nur eine Richtung?

Ich meine damit, dass die Fixierung auf ein Ziel manchmal blind macht. Man bewegt sich dann wie auf einer Leimroute festgeklebt und kann nicht erkennen, dass es auf dem Weg Kreuzungen gibt, also Optionen für Richtungsänderungen. Denn man kann eine andere Richtung einschlagen, einen anderen Weg nehmen, der einen womöglich schneller oder auf elegantere Weise zum Ziel bringt.

Beginnen Grenzüberschreitungen zuerst im Kopf?

Ja, sicher. Am Anfang steht die Idee, besser gesagt die Vision. Ohne Vision passiert nichts, und schon gar keine Grenzüberschreitung. Je stärker und klarer die Vision, desto größer die Motivation. Die Vision generiert Begeisterung und Freude, und das sind fürwahr Kräfte, die Berge versetzen können. Bei mir wird die Vision so stark, dass sie mein ganzes Denken und Fühlen beherrscht, mich gewissermaßen ganz ausfüllt, so dass es gar keine andere Option gibt, als aufzubrechen, um die Vision in die Tat umzusetzen. In der Aktion muss jedoch die Vision, die totale Fixierung auf ein Ziel, wieder etwas zurücktreten, denn dann ist Geistesgegenwärtigkeit notwendig. Dann ist die Qualität des nächsten Schrittes wichtiger als der Blick auf ein – noch – weit entferntes Ziel. Die Vision bedingt die Aktion, doch dann kommen andere Faktoren ins Spiel, die schließlich über Erfolg und Misserfolg entscheiden.

Sie sagten einmal, dass die Wüste dem Menschen zwar physisch die engsten Grenzen setzt, ihm aber die größten Erfahrungsmöglichkeiten eröffnet. Was haben Sie dort erfahren, und weshalb sind Ihre Erlebnisse auch für Führungskräfte von Interesse?

Es ist ja kein Zufall, dass Propheten in die Wüste gegangen sind, denn dort konnten sie sich selbst erfahren und dadurch auch Weisheiten und kosmische Gesetzmäßigkeiten erkennen, die sich gleichsam auf sandigem Grund abzeichneten. Die inspirative Kraft der Wüste nutzten Philosophen, Visionäre und Poeten. Es ist die Qualität der Stille, die es so in keiner anderen Umgebung gibt, die die Erfahrung der Wüste ausmacht und die Reduktion, die dort stattfindet. Es gibt nur wenige Elemente, wenige Parameter, die die Wüste ausmachen: Da ist Sand als das Endprodukt von Gebirgen, da ist der Himmel darüber, und da ist der Wind, der den Sand nach den Gesetzen der Aerodynamik formt. Von einer solchen Umgebung geht eine Kraft aus, die den Menschen unweigerlich zur Innenschau zwingt. Die Wüste lehrt uns Menschen in sehr eindringlicher Weise, das dynamische Grundprinzip des Lebens vorbehaltlos anzunehmen, denn nur in Bewegung kann der Mensch dort überleben. Stillstand bedeutet in der Wüste physischen Tod. Bewegung, Veränderung ist die einzige Konstante. Es gilt, die dynamischen Eigenschaften eines Sandkorns anzunehmen, denn nur ihnen gelingt es offensichtlich, dauerhafter Bestandteil dieser Landschaft zu sein. Im Leben und in der Wirtschaft ist es nicht viel anders. Wir müssen lernen, Veränderung als Chance zu begreifen und zu nutzen. Wer nicht mehr bereit ist, sich zu bewegen, weiter zu lernen, offen zu sein für neue Erfahrungen, der hat schlechte Karten. Indem sie mich zwang, meine eigenen Möglichkeiten auszuschöpfen, hat mich die Wüste gelehrt, ein hohes Maß an Selbstverantwortung zu entwickeln, Sicherheit bei mir selber zu suchen und zu finden. Und indem ich vor Situationen stand, in denen mir der Kopf nichts mehr genutzt hat, das von Kindesbeinen antrainierte intellektuelle Wissen versagte, auf das wir gewöhnlich so stolz sind und mit dem wir unsere Prüfungen und Karrieren bestreiten, lernte ich die andere Wissensquelle zu erschließen. Ich nenne sie das intuitive Wissen oder emotionale Intelligenz – die uns durch die Überbetonung des logisch-rationalen Verstandeswissens abhandengekommen ist wie ein nutzlos gewordenes Organ. Die Wüste brachte mich mit dieser Wissensquelle wieder in Berührung. Ich lernte sie wahrzunehmen, ihr zu vertrauen und in mein Leben zu integrieren. Von diesen Erfahrungen können Führungskräfte lernen – ohne sich einer existentiellen Bedrohung aussetzen zu müssen, wie ich es vorsätzlich tat.

Inwiefern ist der Aufstieg von Führungskräften auf den „Karriereberg“ eine harte Prüfung? Ist ein Abstieg nicht immer gefährlicher?

Der Aufstieg auf den Karriereberg ist deshalb schwierig, weil er einen Kraftakt erfordert. Durchsetzungsvermögen nebst vielen anderen Qualitäten ist nötig, um im harten Wettbewerb zu bestehen, denn es gibt ja genügend Konkurrenten, die ebenfalls dort hinaufwollen. Der Abstieg scheint nur deshalb gefährlicher, weil dieser häufig zum Absturz wird, nämlich dann, wenn alle Energien für den Aufstieg verwendet werden und es keine Reserven mehr gibt, um den Abstieg zu meistern, oder jemand glaubt, in der dünnen Luft des Karrieregipfels für immer verweilen zu können. Es gibt Bergsteiger, die alle ihre Motivation und Ressourcen auf die Erreichung des Himalaya-Gipfels ausgerichtet hatten. Aber sie haben nicht über den Gipfel hinausgedacht, haben nicht begriffen, dass ja der Gipfel nicht der Endpunkt ist. Und sie blieben einfach oben sitzen, bis sie herabgefegt wurden. Es fehlte ihnen einfach der Wille und die Kraft zum Abstieg.

Topmanager, sagt die Unternehmensberaterin Gertrud Höhler, sind „Alphatiere“. Was sie treibt, ist die Lust zu spielen, um zu gewinnen. Das Wesen erfolgreicher Manager umschreibt sie mit Begriffen wie „assoziative Intelligenz“ und „energiegeladene Spontaneität“. Treffen diese Bezeichnungen auch auf Sie zu?

Ersteres erscheint mir zu simpel und nicht die alleinige treibende Kraft bei Managern zu sein. Topmanager sind Erfolgsmenschen, die den Erfolg suchen und brauchen. Dafür arbeiten sie hart und mit enormem – manchmal bis an die Grenze der Selbstzerstörung gehendem – Ehrgeiz. Den „Homo ludens“-Typ, der nur einen Spieltrieb befriedigt, konnte ich in dieser Gruppe eher selten ausmachen. Was die „assoziative Intelligenz“ betrifft, so sehe ich darin nur eine andere Bezeichnung für das, was ich emotionale Intelligenz nenne. „Energiegeladene Spontaneität“ steht für jene Qualitäten, die ich vorher schon nannte. Sie sind für meine Unternehmungen genauso wichtig wie für Topmanager: nämlich die Schnelligkeit der Reaktion und die Kraft der Durchsetzung.

Weitere Informationen: www.bruno-baumann.de

Dr. Alexandra Hildebrandt ist Leiterin Kommunikation Gesellschaftspolitik bei der KarstadtQuelle AG. Das Interview ist zuerst erschienen auf www.changeX.de.


Werden Sie Teil der CSR NEWS-Community, gestalten Sie den Nachhaltigkeitsdialog mit, vermitteln Sie Impulse in unsere Gesellschaft und lesen Sie uns auch als eBook. > Weitere Infos